Umweltbewegung im Wandel

Von der Wendeeuphorie zu den Herausforderungen der Gegenwart

Dies academicus der tuuwi Dresden 1990Umweltbewegungen in der früheren DDR haben einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen. Aus basisnahen Initiativen gegen Umweltverschmutzung entstand in der Wendezeit eine breit getragene Bewegung, die durch neue Freiheiten zunächst stark wuchs. In den 1990er Jahren folgte eine Phase der Ernüchterung: Professionalisierung, Mitgliederschwund und gesellschaftliche Veränderungen stellten gewachsene Strukturen in Frage.

Heute stehen Umweltorganisationen vor neuen Herausforderungen wie der Klimakrise, politischer Polarisierung und veränderten Formen des Engagements. Die Geschichte der GRÜNEN LIGA zeigt, dass gesellschaftliche Verankerung und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind, um auch unter neuen Bedingungen handlungsfähig zu bleiben.

Aufbruch und Gründung

Ende der 1980er Jahre war die ökologische Situation in der DDR unhaltbar geworden. Im ganzen Land hatten sich immer mehr Gruppen von Menschen gefunden, die hier etwas bewegen wollten. Aber egal, ob unter dem Dach der Kirche oder im Rahmen des von der SED gelenkten Kulturbundes: Immer wieder standen die Interessen der SED und die Staatssicherheit im Wege.

Nach den gefälschten Wahlen im Mai 1989 und der darauffolgenden Ausreisewelle konnten die Widersprüche in der Gesellschaft nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden. Neben der Friedens- und der Bürgerrechtsbewegung war es vor allem die Umweltbewegung, die nun an die Öffentlichkeit ging. Nach fast einer Woche anhaltender Proteste musste sich der Dresdener Oberbürgermeister am 8. Oktober auf Gespräche mit den Demonstrierenden einlassen. Am 9. Oktober waren in Leipzig 70.000 Menschen auf der Straße. Kein Schuss fiel – das Volk hatte sich durchgesetzt. Von Tag zu Tag wurden die Menschen nun mutiger.

Aus diesen basisnahen Umweltinitiativen entstand im Herbst 1989 als ein Kind dieser Aufbruchszeit die GRÜNE LIGA – ein Netzwerk ökologischer Bewegungen mit der Hoffnung auf eine ökologischere und demokratischere Gesellschaft. Die Umwälzungen in der DDR brachten es außerdem mit sich, dass die GRÜNE LIGA bei den Runden Tischen mitwirkte und als bisher einziger Umweltverband einen Minister in eine deutsche Regierung entsandte.

Euphorie und Freiräume

Mit der neuen Versammlungs- und Meinungsfreiheit verband sich eine ungeheure Erwartung. Endlich erschien möglich, was in der DDR Jahrzehnte unterdrückt worden war: öffentliche Debatten über Umweltverschmutzung, unabhängige Projekte zur Energie- oder Verkehrswende und direkte Einflussnahme auf Politik. Umweltorganisationen galten vielen als Sprachrohr einer jungen Zivilgesellschaft, die nicht nur die ökologischen Altlasten des Realsozialismus beseitigen wollte, sondern auch eine gerechtere Form des Wirtschaftens anstrebte.

Der frühe Enthusiasmus spiegelte sich in Mitgliederzahlen, Projekten und öffentlicher Aufmerksamkeit wider. Es war die Zeit, in der Bürger*innen Windkraftanlagen aufstellten, gegen die Abholzung von Stadtparks demonstrierten oder Naturschätze sicherten und wieder erlebbar machten – getragen von der Überzeugung, dass Partizipation nun selbstverständlich sei.

Ernüchterung im Alltag

Doch der Alltag der 1990er Jahre brachte Ernüchterung. Der institutionelle Rahmen stabilisierte sich, Parteien und Parlamente übernahmen Themen und Förderlogiken professionalisierten die Arbeit. Viele Umweltgruppen verloren ihre anfängliche Breite: Aus Bürgerbewegungen wurden Vereine mit Satzungen, Geschäftsstellen und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen. Gleichzeitig begann ein schleichender Mitgliederschwund.

Während sich einige bundesweit agierende Verbände professionalisierten und politischen Einfluss gewannen, taten sich basisorientierte Netzwerke schwerer, ihre Rolle neu zu definieren. Viele der Menschen, die in der Umbruchszeit aktiv waren, zogen sich ins Private zurück oder engagierten sich in anderen Kontexten. Andere mussten sich beruflich umorientieren oder den Wohnort wechseln. Aus der Ernüchterung über nicht erreichte Veränderungen wuchs Frustration. Damit schrumpfte auch die gesellschaftliche Verankerung – gerade in ländlichen Regionen Ostdeutschlands.

Neue Herausforderungen

Heute stehen Umweltorganisationen vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits sind die ökologischen Krisen drängender denn je: Klimawandel, Artensterben, Energie- und Mobilitätswende verlangen Druck auf die Politik, Expertise und Beharrlichkeit. Andererseits verschieben sich die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Polarisierung, Populismus und ein kritischer Blick auf Gemeinnützigkeit stellen Nichtregierungsorganisationen vor neue Legitimationsfragen. Sie werden nicht mehr automatisch als Stimme der Bürgergesellschaft wahrgenommen, sondern müssen ihre Unabhängigkeit und Relevanz immer wieder begründen.

Zugleich haben sich die Erwartungen an Engagement verändert. Junge Menschen finden heute oft eher über lose Kampagnen, Protestbewegungen oder digitale Plattformen Zugang. Dauerhafte Mitgliedschaft in einem Verein wirkt für viele unattraktiv. Das führt zu Spannungen zwischen klassischer Vereinsstruktur und flexibleren Aktionsformen.

Der Rückgang von Mitgliederzahlen verweist damit nicht nur auf interne Schwierigkeiten, sondern auf eine generelle Verschiebung im Verhältnis zwischen Bürger*innen und organisierter Zivilgesellschaft. Das Engagement ist weiterhin hoch, was Bewegungen wie Fridays for Future oder lokale Initiativen für Radwege zeigen. Doch es organisiert sich zunehmend projektbezogen und flüchtig. Für etablierte Umweltverbände bedeutet das einen Identitätskonflikt: Wie lassen sich die Werte von Kontinuität und Verlässlichkeit mit der Logik kurzfristiger Mobilisierung verbinden?

Strategien für morgen

Viele Umweltorganisationen haben in den vergangenen Jahren Wege gefunden, unter diesen Bedingungen handlungsfähig zu bleiben. Manche setzen auf Hybridstrukturen, die feste Mitgliedschaften mit offenen Projektgruppen verbinden und so spontane Beteiligung ermöglichen. Andere suchen verstärkt Kooperationen mit sozialen, kulturellen oder internationalen Initiativen, um ihre Themen zu verknüpfen und neue Zielgruppen zu erschließen.

Professionalisierung ist ebenfalls ein wichtiger Faktor geworden: Organisationen entwickeln fachliche Expertise, um politische Prozesse wirksam zu beeinflussen, bemühen sich dabei jedoch, die Nähe zur Basis nicht zu verlieren. So wirkt die GRÜNE LIGA mit ihren Bundeskontaktstellen zu ökologischen Themen wie Braunkohle, Pestizide, Wald und Wasser in die Politik hinein, nimmt mit Stellungnahmen Einfluss auf Planungsverfahren und geht juristisch gegen Fehlentwicklungen vor (z.B. gegen Tagebaue in der Lausitz oder die Waldschlösschenbrücke in Dresden). Sie bleibt jedoch mit Streuobstwiesen, Umweltbildungshäusern und konkreten Naturschutzmaßnahmen wie der Pflege von Bergwiesen oder dem Bau von Krötenschutztunneln vor Ort verankert.

Schließlich eröffnen digitale Beteiligungsformen wie Online-Kampagnen, Webinare oder interaktive Plattformen zusätzliche Räume, die Menschen einen niedrigschwelligen Zugang zum Engagement bieten und über lokale Grenzen hinauswirken.

Lehren nach 35 Jahren

Der Weg von den oppositionellen Umweltgruppen der DDR über die Euphorie der frühen 1990er Jahre bis hin zu den heutigen Realitäten, zeigt mehrere Lehren auf: Erstens, dass politische Freiheitsräume nie selbstverständlich sind und kontinuierlich verteidigt werden müssen. Zweitens, dass Fenster für Veränderungen oft nur sehr kurz geöffnet sind und es deshalb wichtig ist, jederzeit Klarheit über die Ziele und Wege dorthin zu haben und die sich bietenden Möglichkeiten dann intensiv mit großem persönlichen Einsatz genutzt werden müssen. Drittens, dass gesellschaftliche Verankerung nicht allein über Mitgliedszahlen messbar ist, sondern auch über Resonanz, Netzwerke und thematische Schlagkraft. Viertens, dass die Anpassungsfähigkeit von Umweltorganisationen entscheidend bleibt – ohne jedoch die eigenen Werte preiszugeben.

So zeigt die Geschichte von Organisationen wie der GRÜNEN LIGA, dass die Zivilgesellschaft stets ein Spiegel gesellschaftlicher Umbrüche ist. Ihr Fortbestehen beweist, dass basisdemokratische Netzwerkarbeit auch in Zeiten der Unsicherheit nicht an Bedeutung verliert. Sie verändert nur ihre Form.

Bundessprecher*innenrat der GRÜNEN LIGA