Erstmals wirft eine zivilgesellschaftliche Analyse der Energie- und Rohstoffkapitel der EU-Handelsverträge einen kritischen Blick auf die sechs vorliegenden Kapitelvorschläge der EU-Kommission. PowerShift, GRÜNE LIGA, BUND, FDCL, Forum Umwelt und Entwicklung und Stiftung Asienhaus haben dazu gemeinsam eine Fallstudie herausgegeben. Die Entstehung der ERM-Kapitel wird in den Kontext der Europäischen Rohstoffinitiative eingeordnet. Ihre rohstoffpolitischen Bestimmungen werden analysiert, Folgen abgeschätzt und daraus Politikempfehlungen entwickelt.
Rohstoffe stehen am Anfang aller industriellen Produktion. Ob für Autos, Flugzeuge, Waffen oder Maschinen: Die in der Europäischen Union ansässigen Unternehmen benötigen für ihre Produkte zahlreiche Metalle und Minerale. Die EU-Industrien sind die weltweit zweitgrößten Verbraucher von Kupfer und Stahl[1]. 80 Prozent aller Importe in die EU bestehen aus Rohstoffen, Produktionsmitteln und Komponenten. Ohne diese Importe wäre Europa ein wirtschaftlicher Zwerg. Kurzum: die EU ist importabhängig.
Die EU-Handelspolitik trägt diesem Umstand Rechnung. Zukünftig soll jedes Handelsabkommen ein Kapitel zu Energie und Rohstoffen enthalten (ERM – Energy and raw materials). Mit diesen Kapiteln sollen der Zugang zu Energie und Rohstoffen gesichert, „technische Barrieren“ für den Handel und für Investitionen im Energiesektor gesenkt und insgesamt ein „vorteilhaftes Investitionsumfeld“ geschaffen werden.
Was sind die Folgen für rohstoffreiche Staaten? ERM-Kapitel schränken ihren wirtschaftspolitischen Spielraum stark ein. Sie verbieten Import- und Exportmonopole. Sollte ein Staat beschließen wollen, den Abbau und Export eines Rohstoffs nur einem – mitunter staatlichen – Unternehmen zu erlauben, wäre dies zukünftig unmöglich. Fünf der sechs bisher vorgeschlagenen ERM-Kapitel verbieten zudem Exportzölle, die eine wichtige Einnahmequelle für rohstoffreiche Staaten sein können.
Und während Wirtschaftsinteressen verbindlich gefördert werden, bleiben Menschenrechte und Umweltschutz auf der Strecke. Nur drei von sechs ERM-Kapitel enthalten einen Artikel zu Umweltverträglichkeitsprüfungen. Würde der Umwelt- und Klimaschutz eine Rolle spielen, müssten diese Prüfungen verbindlich vor der Förderung von Rohstoffen durchgeführt werden. In den ERM-Kapiteln steht jedoch, dass die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfungen nur „berücksichtigt“ werden müssen – was sie keine rechtliche Verbindlichkeit haben. Auch müssen die Ergebnisse der Prüfungen nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Eine Überprüfung durch die Zivilgesellschaft und Anwohner*innen ist also kaum möglich.
Rohstoffabbau geht häufig mit tiefgreifenden Umweltschäden wie Abholzung, Bodenzerstörung, Vergiftung und Verschmutzung von Flüssen, Grundwasser und Luft einher. Umliegende ländliche und indigene Gemeinden, die häufig von der Landwirtschaft, Fischerei, Jagd oder Tourismus leben, verlieren dadurch ihre Lebensgrundlagen, wodurch ihre Menschenrechte auf Nahrung, Wasser, Gesundheit und einen angemessenen Lebensstandard gefährdet werden.
Umso problematischer ist es, dass die EU in den ERM-Kapiteln keine verbindlich verpflichtenden Regeln und Gesetze vorsieht. Nachhaltige Handelspolitik muss hier anknüpfen und die gesetzliche, verbindliche Verankerung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten fördern.
Zur Studie: Neue Rohstoffkapitel in EU-Handelsabkommen
Das Fact Sheet gibt einen kurzen Überblick über die zentralen rohstoffpolitischen Auswirkungen der ERM-Kapitel.
Zum Factsheet: Factsheet_Rohstoffkapitel in EU-Handelsabkommen
Ausgedruckte Exemplare können über PowerShift bestellt werden.
[1] STRADE (2018): The EU raw material engagement with Industrial countries, S. 8
(Beitragsbild: zwansaurio, flickr, Creative Commons Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0)