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Demokratie erkämpfen heißt auch Demokratie verteidigen

Am 7. Mai 1989 wiesen Oppositionsgruppen die Fälschung der DDR-Kommunalwahl nach

Cottbus 02.05.2019. Am 7. Mai jährt sich zum dreißigsten Mal die Aufdeckung der Kommunalwahlfälschung in der DDR durch Oppositionsgruppen. Die daran beteiligte Umweltgruppe Cottbus erinnert an dieses Datum und grenzt sich entschieden von heutigen rechtspopulistischen Aufrufen zur Wahlbeobachtung ab.

„Wir zählten damals allein in den 30 von uns beobachteten Wahllokalen die 560 Nein-Stimmen, die am Folgetag für die knapp 100 Wahllokale in Cottbus verkündet wurden. Ein Mitglied der Gruppe stellte daraufhin Strafanzeige wegen Wahlfälschung, was damals unendlich viel Mut erforderte.“ erinnert sich Dr. Martin Kühne, der noch heute in der Umweltgruppe aktiv ist.

Die Aktion der Cottbuser Gruppe im Frühjahr 1989 folgte einem DDR-weiten Aufruf zur Überwachung der Kommunalwahlen, der ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur friedlichen Revolution im Herbst war. In der DDR traten alle Parteien und Organisationen auf einer gemeinsamen Liste an („Wählt die Kandidaten der Nationalen Front!“), so dass die Wähler nur mit Ja und Nein stimmen konnten. Das Benutzen der Wahlkabine war verpönt. Die Zahl der Nein-Stimmen wurde trotzdem noch regelmäßig geschönt.

Heutige Aufrufe rechtspopulistischer Gruppierungen, die Auszählung der Kommunalwahlen in Brandenburg am 26. Mai zu beobachten, sieht die Umweltgruppe Cottbus als Inszenierung an, die vor allem Misstrauen gegen die damals erkämpfte Demokratie schüren soll. Dr. Martin Kühne: „Wir sind im Vorfeld der Wahlen dieses Jahres an einem Punkt angekommen, wo es immer wichtiger wird, zunehmenden Angriffen auf unser offenes demokratisches Zusammenleben entschieden entgegenzutreten. Wer kein Problem beim Zusammenwirken mit Neonazis, Rassisten und Hooligans hat, kann als Letzter behaupten in einer Traditionslinie zu den Bürgerbewegten von 1989 zu stehen! Dies zeigt – wie auch das totale Leugnen des menschengemachten Klimawandels und die Forderung nach unbegrenztem Braunkohle-Abbau – den diametralen Gegensatz zu den Zielen, denen sich die Umweltgruppe Cottbus bis heute verpflichtet fühlt: Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung.“

 

30. Jahrestag des Nachweises der gefälschten Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 durch die Umweltgruppe Cottbus (UGC)

(ausführlicher Text von Dr. Martin Kühne)

Begonnen hatte es bereits im Februar 1989 mit einer erstaunlichen Einladung der Cottbuser Stadtspitze. Nach jahrelanger Pause wurde ausgerechnet mit Vertretern von Kirchengemeinden das „kommunalpolitische Gespräch“ im Rathaus gesucht. Es gehe keineswegs um die bevorstehenden Wahlen, sondern man wolle nur eine Tradition neu beleben. So schnell wären die Erfolge der letzten fünf Jahre vergessen. Doch auf unsere konkreten Fragen folgte meist nur hilfloses Achselzucken. Zum Abschluss gab uns der stellvertretende OB Makowski noch mit auf den Weg, er erwarte keine Einmischung der Kirche in staatliche Angelegenheiten, „wenn sie nicht von allgemeinem Interesse seien“. Einige kirchenfremde Gruppierungen müssten lernen mit offenen Karten zu spielen.

Die „Lausitzer Rundschau“ log wenige Tage später in üblicher Weise: Von einem „turnusmäßigen Gespräch in vertrauensvoller Atmosphäre“ war da die Rede.

Doch wir hatten die unmissverständliche Warnung schon verstanden und zogen in der UGC unsere eigenen Schlüsse: „Nun erst recht!“. Wir waren der staatlichen Gängelung, dem täglichen Phrasenmüll, dem offenkundig immer mehr wachsenden Widerspruch zwischen Schein und Sein im „real existierenden Sozialismus“ müde und bereiteten uns darauf vor unser demokratisches Recht der Wahlbeobachtung am 7. Mai wahrzunehmen. Mit Handzetteln instruierten wir die mutigen Leute, die dann meist zu zweit in die Wahllokale gingen.

Obwohl wir ahnten, dass die Stasi in der UGC immer mit horchte und der Magen kribbelte, waren wir doch überrascht, problemlos in 30 der knapp 100 Cottbuser Wahllokale mitzählen zu dürfen. Bei uns vor der Haustür im WK XIII lag die Wahlbeteiligung zum Beispiel bei 90 % und es lagen 3% Nein-Stimmen vor

Die Erleichterung hielt sich bis zur offiziellen Ergebnis-Bekanntgabe: Exakt die 560 Gegenstimmen, die die UGC ermittelt hatte, waren in den knapp 100 Wahllokalen im „offiziellen Wahlergebnis“ verzeichnet! Schlauerweise hatte man sowieso auf die Bekanntgabe der Ergebnisse jedes einzelnen Wahllokals verzichtet. Riesenenttäuschung brach sich bei uns Bahn: Welch erbärmliche Trickserei selbst bei einer so klar gewonnen Wahl! Wie muss es um die innere Moral eines Staates bestellt sein, der so etwas nötig hat! Das war für uns ein weiteres Zeichen, wie sehr die DDR eine generelle „Erneuerung in der Wahrheit“ nötig hatte.

EINSCHUB: Gedicht von Kerstin Hensel 1989 (Mitteldeutscher Verlag, rezensiert in der LR vom 08.05.89 (!):

„Auf der Straße ist alles wieder wie`s gestern war
und du weißt, dass sich da nichts ändern wird
außer mal ein Rohrbruch und du weißt
wie du dir was vorlügst, wenn du nicht bald
was sagst.“

In den nächsten Tagen erhielten wir Informationen aus vielen Gebieten der DDR, die auf ein landesweites Betrugsmanöver hinwiesen. Wir wollten nicht mehr länger schweigen. Die UGC richtete am 12.05.89 eine Eingabe an den Cottbuser OB Müller, unterschrieben von Peter Model und vier weiteren Mitstreitern. Peter Model war es auch, der am 30.05.89 mit einer Anzeige gegen Unbekannt wegen Wahlfälschung gem. § 211 StGB an die Bezirksstaatsanwaltschaft Cottbus nachlegte.

Diese Anzeige und eine Rede von Peter Model standen dann auch am selben Tag im Mittelpunkt des mit großer Spannung und innerer Erregung erwarteten UGC-Abends zu den Ergebnissen der Kommunalwahlen in Cottbus. Wir hatten diesmal dem staatlichen Druck auf Rücknahme der kirchlichen Veranstaltung in der Schlosskirche standgehalten, zumal die evangelische Kirchenleitung als Hausherrin uns nur „taktische Empfehlungen“ gab.

Die Schlosskirche war nach den Ankündigungen in den Kirchgemeinden so überfüllt, wie wir es noch nie erlebt hatten: im Schneidersitz auf dem Fußboden, auf Treppe und Empore, im Vorraum Schulter an Schulter – es konnte kein Apfel mehr zum Boden! Schon vor Beginn hatte es Gedränge vor dem großen Poster gegeben, dass kommentarlos unsere Zählungen mit den offiziellen Ergebnissen aus der LR verglich.

Nach einleitenden Worten von Christoph Polster - als Christen ist unsere Wahl gefallen: für Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit – verlas Matthias Grunwald den Text der Eingabe, der genau auf die Verletzung des Wahlgesetzes einging: Selbst Rechenfehler sind nicht statthaft. Wir forderten die vollständige Veröffentlichung sämtlicher Wahllokal-Ergebnisse und Neuwahlen. Darauf brandete enormer, wie befreiend wirkender, nicht enden wollender Beifall auf! Das war ein Schlüsselmoment neuen Selbstbewusstseins in der Öffentlichkeit. Viele spürten so etwas wie Stolz in dieser Stunde dabei gewesen zu sein.

Peter Model gab mit klarer fester Stimme ein Zeugnis seiner Betroffenheit ab, aufrüttelnd, aber nicht verletzend – eben die sozialistische Demokratie beim Wort nehmend. Er wisse ja schon, dass Lügen und Schönfärberei weitgehend selbstverständlich in unserer Gesellschaft seien, aber diese Wahlfälschung sei eine schockierende Erfahrung! Weiter zu schweigen zu diesem selbst mitverantworteten Zustand könne nicht gut sein. Folgen der Lügen seien weit verbreitete Resignation und auch die Unfähigkeit zu ökologischen Problemlösungen. Jeder müsse die Möglichkeit haben selbst zu urteilen und im brechtschen Sinne den Finger auf jeden Posten zu legen. Mit jedem neuen Beifall schien sich etwas aus der jahrelangen Verkrustung von Anpassung und Ängstlichkeit zu befreien. Dieser Abend war eine Zäsur.

Als die Menschen schließlich klopfenden Herzens aus der Schlosskirche traten, erwarteten sie draußen nicht unbedingt etwas Gutes, aber die Sprem lag wie leergefegt vor uns.

Am 13.06.89 wurden Vertreter der UGC beim Staatsanwalt Cottbus-Stadt vorgeladen – nur, um ihnen lapidar mitzuteilen, dass auf Grund der Überprüfungen kein Verdacht auf Wahlfälschung bestehe. Diese Entscheidung müsse vor dem Bürger nicht begründet werden. Allerdings halte man unsere Zahlen „keineswegs“ für unglaubwürdig. Wir könnten uns ja nochmal an den Kreis-Staatsanwalt wenden. Konnten Geistesspaltung und innere Demütigung noch weiter getrieben werden?

Am 30.06.89 erhob die UGC Widerspruch gegen diese Mitteilungen der Staatsanwaltschaft, was ebenso ergebnislos blieb wie ein Vorsprechen im Vorzimmer des OB am 11.07.89 und eine Mahnung am 03.08.89 an den OB wegen Nichtbeantwortung unserer Eingabe. Wie wir heute wissen, waren alle diese staatlichen Reaktionen bis in die letzte Formulierung hinein vorher vom SED-Politbüro vorgegeben worden.

Am 30.09.89 wusste die UGC sich nicht anders zu helfen, als einen Einspruch zur gefälschten Cottbuser Kommunalwahl an Egon Krenz zu richten, der am 07.11.89 „mit sozialistischem Gruß“ nichtssagend und hinhaltend antwortete. Doch da ließ sich die übergroße Mehrheit der DDR-Bevölkerung bekanntermaßen eben nicht mehr länger hinhalten…

Im Jahr 1992 kam es dann endlich zu Gerichtsprozessen, die mit Geldstrafen endeten. Dies verhinderte im Einzelfall auch eine Weiterbeschäftigung Verantwortlicher in der Stadtverwaltung nicht. Eine Aufarbeitung innerhalb der Cottbuser Zivilgesellschaft fand nicht statt, obwohl Peter Model wiederholt, auch in der Stadtverordnetenversammlung, deren Notwendigkeit anmahnte.

Am 16.04.92 schrieb er in einem Leserbrief an die LR: „Wenn wir nicht aus unserer Geschichte lernen wollen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir wieder auf eine andere Art von Wahlbetrügern hereinfallen...“

Dies weiterdenkend in die Gegenwart hinein, warnt die Umweltgruppe Cottbus nachdrücklich vor rechtspopulistischen Kräften, die sich aktuell vor den diesjährigen Kommunalwahlen als „Wahlbeobachter“ gerieren und dabei in zynischer Weise so gar eine Traditionslinie zu den Bürgerbewegten von 1989 herstellen wollen. Wir wenden uns gegen den Missbrauch des Mottos „Wir sind das Volk!“ aus der friedlichen Revolution, deren Werte Freiheit, Toleranz und Solidarität für uns Errungenschaften des Herbstes 1989 sind. Wer mit Fremdenhass und Intoleranz gegen eine offene pluralistische Demokratie vorgeht, kein Problem im Zusammenwirken mit Neonazis, Hooligans und den geistigen Vorbereitern eines altväterlichen „weißen“ deutschen Staates hat, spaltet unsere Gesellschaft. Dies steht - wie auch das totale Verleugnen des menschengemachten Klimawandels und das Braunkohle-Abbauen bis zur letzten Krume – im diametralen Gegensatz zu den Zielen, denen sich die Umweltgruppe Cottbus auch heute noch verpflichtet fühlt: Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung.

Cottbus, April 2019

Dr. Martin Kühne, Mitbegründer der Umweltgruppe Cottbus

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